Das schwierigste unter allen prinzipiell lösbaren Problemen ist die Beziehung des Willens zum Wert, oder, was dasselbe ist, des Menschen zu Gott. Schafft der Wille den Wert oder der Wert den Willen? Schafft Gott den Menschen oder verwirklicht erst der Mensch Gott? Ergreift der Wille das Gute oder das Gute den Willen? Es ist dies das Problem der Gnade, das höchste und letzte Problem innerhalb des Dualismus, während die Erbsünde das Problem des Dualismus selbst ist.
Es ist, wie ich glaube, so aufzulösen:
Der Wert wird selbst Wille, wenn er in Relation zur Zeit tritt; denn das Ich (Gott) als Zeit ist der Wille. Es kann also gar nicht die Rede sein von Schöpfung des Willens oder des Wertes: das Problem erweist hier eine Nachbarschaft zur Erbsünde. Der Wille hingegen wird Wert (der Mensch wird Gott), wenn er gänzlich zeitlos wird; der Wert ist ein Grenzdasein des Willens, der Wille ein Grenzdasein des Wertes. Wenn Gott Zeit wird, dann wird er Wille, d. h. sowie das Sein in ein Verhältnis zum Nicht-Sein sich eingelassen hat. Aller Wille will nur zum Sein zurück (sagt die Erbsünde), und ist etwas zwischen Nicht-Sein und Sein. Von Schöpfung kann nicht die Rede sein. Wie das Auge zur Sonne, so verhält sich Mensch zu Gott. Es ist weder die Sonne nur durchs Auge, noch durchs Auge die Sonne.
Idiotie ist das intellektuelle Äquivalent der Rohheit.
Epilepsie ist völlige Hilflosigkeit, Fallsucht, weil der Verbrecher Spielball der Gravitation geworden ist. Der Verbrecher tritt nicht auf. Gefühl des Epileptikers: wie wenn das Licht erlischt und völlig jeder äußere Halt fehlt. Ohrensausen beim Anfall: vielleicht tritt, wenn Licht fehlt, Schall ein. Der Epileptiker hat Vision von roter Farbe: Hölle, Feuer.
Aus unserem Zustand vor der Geburt ist vielleicht darum keine Erinnerung möglich, weil wir so tief gesunken sind durch die Geburt: wir haben das Bewußstein verloren, und gänzlich triebartig geboren zu werden verlangt, ohne vernünftigen Entschluß und ohne Wissen, und darum wissen wir gar nichts von dieser Vergangenheit.
Der Mord ist eine Selbstrechtfertigung des Verbrechers; er sucht sich durch ihn zu beweisen, daß nichts ist.
Man darf sich auch nicht selbst kausal bestimmen wollen etwa so: ich werde jetzt mich selbst durch eine Handlung gut machen und hierdurch ein- für allemal gut werden und von Natur aus gut handeln, weil ich dann nicht anders können werde. Denn hierdurch verzichtet man auf die Freiheit, welche in jedem Momente alle Vergangenheit negieren kann und insofern dem passiven (Heringschen) Gedächtnis entgegengesetzt ist. Man macht sich zum Objekt, indem man so die Kausalität einführt; denn eine Sittlichkeit, zu der ich gezwungen bin, ist schon keine mehr.
Müssen nicht, je mehr Wollust und sinnliche Gier in dem Verhältnis des Mannes zum Weibe ist, desto tiefer die Kinder ethisch stehen? Desto mehr Verbrecherisches im Sohne, desto mehr Dirnenhaftes in der Tochter sein?
Man liebt seine physischen Eltern; darin liegt wohl ein Hinweis darauf, daß man sie erwählt hat.
Der Zustand der menschlichen Kindschaft ist darum soviel kläglicher, als der des neugeborenen Tieres und der neugeboren Pflanze, und nur darum muß der Mensch
allein aufgezogen und erzogen werden, weil hier die Seele sich so verloren hat; darum ist das Menschenkind so hilflos und schwach und (Kindersterblichkeit!) der Todesgefahr soviel näher, als der Erwachsene und leidet der Mensch an Kinderkrankheiten, welche Tier und Pflanze nicht kennen.
Hätte der Mensch sich nicht verloren bei der Geburt, so müßte er sich nicht suchen und wiederfinden.
„Die Welt ist meine Vorstellung“ – daß dies ewig wahr ist und nicht widerlegt werden kann, muß einen Grund haben. Alle diese Dinge, die ich sehe, sind nicht die volle Wahrheit, sie verhüllen das höchste Sein noch immer vor dem Blicke. Als ich ward, verlangte ich aber nach diesem Selbstbetrug und diesem Schein. Als ich auf diese Welt kommen wollte, verzichtete ich darauf, bloß die Wahrheit zu wollen. Alle Dinge sind nur Erscheinungen, d. h. sie spiegeln mir immer nur meine Subjektivität wieder.
So wie sich der Mensch zu jeder kleinsten und unbedeutendsten seiner psychischen Regungen verhält, so Gott zum Menschen. Beide suchen sich in jenen zu offenbaren und zu verwirklichen.
Dem Verbrecher ist es angenehm, wenn viel verbrecherische Menschen da sind. Denn er sucht den Mitschuldigen, er kann keinen Richter brauchen; er will den Richter, das Gute, aus der Welt schaffen und dem Nichts allein Realität geben. Darum fühlt er sich von Widerspruch befreit und entlastet, wenn der andere auch so ist, wie er.
Der Verbrecher ist der Gegenpol des sich schuldig fühlenden Menschen. Denn dieser nimmt seine Schuld auf sich, der Verbrecher gibt sie dem anderen: Er rächt und straft den anderen für sich: So erklärt sich der Mord.
Der anständige Mensch geht selbst in den Tod, wenn er fühlt, daß er endgültig böse wird; der gemeine Mensch muß zum Tode durch ein richterliches Urteil gezwungen werden. Das Gefühl seiner Immoralität ist dem anständigen gleich einem Todesurteil; er erkennt sich nicht einmal zum Raume, den er einnimmt, die Berechtigung mehr zu, er verkriecht sich, verkleinert sich, krümmt sich zusammen, möchte vergehen, zum Punkte zusammenschrumpfen. Die Moralität hingegen erkennt sich als ihr Recht das ewige Leben und den größten Raum, d. i. Raumlosigkeit oder Allgegenwart zu.
Schuld und Strafe sind nicht zweierlei, sondern eins.
Jede Krankheit ist Schuld und Strafe; alle Medizin muß Psych-iatrie, muß Seel-sorge werden. Es ist irgend etwas Unmoralisches, d. h. Unbewußtes, das zur Krankheit führt; und jede Krankheit ist geheilt, sobald sie vom Kranken selbst innerlich erkannt und verstanden ist.
Die alte Auffassung ist sehr tief, welche die Kranken und Aussätzigen fragen läßt, was sie verbrochen hätten, daß Gott sie so züchtige.
Der Mann schämt sich darum der Krankheit, das Weib nie.
Auch die Gesetze der Logik, nicht nur die der Ethik, suchen wir ihrem eigentlichen Sinne nach immer besser zu verstehen und wollen sie immer richtiger aussprechen lernen.
Phantasie und Schmuck, 60
Phantasie und Kunst,
Phantasie und Spiel,
Phantasie und Liebe,
Phantasie und Schöpfung,
Phantasie und Form,
Phantasie und Schmuck.
Die Kunst schafft, die Wissenschaft zerstört die sinnliche Welt; darum ist der Künstler erotisch und sexuell, der Wissenschaftler asexuell. Die Optik zerstört das Licht.
Die Diskontinuität im Zeitverlaufe ist das Unsittliche an ihm.
Das Verhältnis der Finalität zur Kausalität ist nicht ohne Lösung des Zeitproblems zu bestimmen.
60 Vielleicht bezieht sich diese Zusammenstellung auf den Begriff Kosmos? [Rappaport]
Ursache-Wirkung ) Zeit
Mittel-Zweck ) Die Umkehrungder Zeit
Wer den Zweck zum Mittel macht und die Folge wie den Grund behandelt, der kehrt die Zeit um: und die Umkehrung der Zeit ist böse.
Mißtrauen gegen sich selbst ist Bedingung alles anderen Mißtrauens.
Richter sind Menschen mit vielem Bösen. „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!“ Wer über andere zu Gericht sitzt, geht selten in sich. Der Richter hat innerlich viel vom Henker. Er wütet auf die Weise gegen sich selbst, daß er gegen den anderen streng ist.
Monarch als Organ und Monarch als Symbol.
Wenn alle Liebe ein Versuch ist, sich im anderen zu finden, und alles, was geschaffen wird, nur durch Liebe geschaffen wird, kann dann die Schöpfung des Menschen durch Gott nicht als der Versuch Gottes aufgefaßt werden, sich im Menschen zu finden? So erhält auch der Gedanke der Gotteskindschaft einen Sinn. Die Menschheit und ihr Korrelat – die Welt – ist die sichtbar gewordene Liebe Gottes. Das Sittengesetz ist dieser Wille Gottes, sich im Menschen zu finden: das Wollen Gottes als das Sollen des Menschen (Fechner). Und zugleich ist Gott durch die theoretische Vernunft (die Normen der Logik) der Lehrer der Menschheit (Lehrerschaft als andere Seite der Vaterschaft).
Der Mörder wird durch jedes Lebenszeichen des Menschen, der sein Opfer werden soll, von seinem Vorsatz zurückgeschreckt, d. h. widerlegt; darum sucht er am liebsten das alte Weib, weil dies der inneren Absicht seines Mordes nicht widerspricht; denn es ist selbst am totesten.
Der Engel im Menschen ist das Unsterbliche in ihm; der Teufel in ihm ist nur das, was zugrunde geht.
Daß ein Mensch irrsinnig wird, ist nur durch eigene Schuld möglich.
Ein Mensch kann innerlich an nichts anderem zugrunde gehen, als an einem Mangel an Religion.
Warum streben das Etwas und Nichts immer gegen einander? Warum wird der Mensch geboren, warum will der Mann zum Weibe? Das Problem der Liebe ist, so sehen wir hier, das Problem der Welt, das Problem des Lebens, das tiefste, unauflösbarste, der Drang der Form, Materie zu formen, der Drang des Zeitlosen in die Zeit, des Raumlosen in den Raum. Dieses Problem treffen wir überall an: es ist das Verhältnis der Freiheit zur Notwendigkeit. Der Dualismus in der Welt ist das Unbegreifliche: das Motiv des Sündenfalles ist das Rätsel, der Grund und Sinn und Zweck des Absturzes vom zeitlosen Sein, vom ewigen Leben ins Nichtsein, ins Sinnenleben, in die irdische Zeitlichkeit; der Fall des Schuldfreien in die Schuld. Ich vermag nie einzusehen, warum ich die Erbsünde beging, wie das Freie unfrei werden konnte. Und warum?
Weil ich eine Sünde erst erkennen kann, wenn ich sie nicht mehr begehe. Darum kann ich das Leben nicht begreifen, solange ich das Leben begehe, und die Zeit ist das Rätsel, weil ich sie noch nicht überwunden habe. Erst der Tod kann mich den Sinn des Lebens lehren. Ich stehe in der Zeit und nicht über der Zeit, ich setze die Zeit noch immer, verlange noch immer nach dem Nichtsein, wünsche noch immer das materielle Leben; und weil ich in dieser Sünde stehe, vermag ich sie nicht zu fassen. Was ich erkenne, außerhalb dessen steh’ ich bereits. Meine Sündhaftigkeit kann ich nicht begreifen, weil ich immer noch sündhaft bin.
Der Verbrecher und der Irrsinnige leben diskontinuierlich.
Der Mensch lebt solange, bis er entweder in das Absolute oder in das Nichts eingeht. Er bestimmt selbst in Freiheit sein künftiges Leben: er wählt Gott oder das Nichts. Er vernichtet sich selbst oder schafft sich selbst zum ewigen Leben. Ein doppelter Progreß ist für ihn möglich: der zum ewigen Leben (zur vollkommen Weisheit und Heiligkeit, zu einem