Unter dem, was ihm irreal ist, leidet nämlich der Masochist wie unter einer Schuld. Darum fühlt er sich vor dem Weibe verlegen, der Sadist nie. Er ist dem Weibe gegenüber passiv, wie jeder Empfindung gegenüber, der er erst durch Assoziation, die zuletzt zur Begriffsbildung führt, eine Realität für sich geben kann. Der Sadist assoziiert nicht: er reißt der Empfindung gegenüber den Mund auf, bereit und willens, sich ganz in sie zu stürzen, ganz und gar in einer Empfindung aufzugehen.
Der Masochist kann darum nie ein Bild, eine Statue lieben: hier ist allzuwenig Realität (Aktivität) für ihn. Der Sadist sehr wohl; er ist ja auch galant, und Galanterie ist zuerst Schmücken von Statuen, denen man nachher den Schmuck wieder nimmt, oder die man zertrümmert, wenn sie keine Realität mehr aus sich saugen lassen.
Der eigentliche Begriff von Gott ist dem Sadisten unverständlich; in der Kunst ist er Empfindungsmensch, häuft stets alles, auch mit Ungerechtigkeit, auf einen Mann, auf einen Moment, auf eine Situation. Er kann erzählen; der Masochist nie (nicht einmal Witze), weil ihm nichts einzelnes real genug ist, als daß er liebevoll darin aufgehen könnte. Dem Masochisten ist der Name Napoleon Ausgangspunkt, von dem er sich entfernt, um zu denken, und ihn denkend zu erfassen: für den Sadisten liegt in einem solchen Namen alle Welt.
Der Masochist also ist der Empfindungswelt gegenüber ohnmächtig schwach: der Sadist in ihr stark. Der Masochist sucht sich der Erscheinung, der Veränderung gegenüber zu behaupten: er allein kennt den Begriff des Absoluten (Gottes, der Idee, des Sinnes). Der Sadist fragt die Dinge nicht nach ihrem Sinn: „Carpe diem!“ ist ihm das Gebot seines Ich; die Veränderung erscheint ihm real; was ihm an der Zeit auffällt, ist nicht sie, sondern die Dauer („aere perennius“).
Der Rhythmus, welcher jeden einzelnen Ton, jede einzelne Silbe genau beachtet, ist sadistisch; die Harmonie masochistisch, wie auch der eigentliche melodiöse Gesang (in dem die einzelnen Töne nicht als solche hervortreten).
Der Mystiker (sei er nun Theosoph wie Böhme, oder Rationalist wie Kant) ist identisch mit dem Masochisten;61 der amystische Mensch ist der Sadist. Masochisten sind die Nordländer (auch die Juden); Sadisten die Südlander. Bei Deutschen und Griechen findet sich beides; dort überwiegt der Masochismus. Venetianische Epigramme, Hermann und Dorothea (?) sind sadistisch; Iphigenie, Tasso, Werther, Faust (größenteils: eine Ausnahme bildet teilweise die Gretchen-Episode) masochistisch. Der Verfasser der Odyssee war Sadist; bloß die Circe ist natürlich masochistisches Ideal (d. h. das Ideal des Masochisten, der seinen Masochismus nicht bekämpft, sondern in der Passivität dem Einzelding gegenüber verbleiben will). Aischylos, Richard Wagner, Dante, vor allen aber Beethoven und Schumann sind Masochisten; Verdi (ebenso Mascagni, auch Bizet) ist mehr Sadist, ebenso alle anakreontischen Poeten und die Franzosen des 17. Und 18. Jahrhunderts, ferner Tizian, Paolo Veronese, Rubens, Rafael. Shakespeare hat viel Sadistisches, ist aber doch mehr Masochist, dem Weibe gegenüber jedoch ohne die schroffe Trennung von Sexualität und Liebe, wie sie Goethe, Dante, Ibsen, Richard Wagner haben. Vollkommenster Masochismus ist im ersten Akte von „Tristan und Isolde“; geringer im Tannhäuser, Rienzi, Holländer).
[Der Harmonie entspricht die Geometrie, dem Rhythmus die Arithmetik (Addition der Zeiteinheiten?): dies zur Erläuterung der früheren Bemerkung. ]
Verbrecher, die einzelne starke verbrecherische Taten begehen, sind Sadisten; Verbrecher im großen Stil, die eigentlich kein einzelnes losgelöstes Verbrechen begehen, sind Masochisten; Napoleon war Masochist, nicht Sadist, wie oberflächlich
61 Philosophen mit sadistischen (unmystischen) Zügen sind Descartes, Hume, Aristipp. [Rappaport]
geglaubt wird; Beweis sein Verhältnis zu Josephine und seine Begeisterung für den Werther, sein Verhältnis zur Astronomie und zu Gott. Das einzelne Weib hat für ihn nie wirkliche Existenz besessen.
Der Sadist kann übrigens durchaus ein anständiger und guter Mensch sein.
Der Lustmord ist vielleicht eine Hilfe des Sadisten, wenn die Realität des einzelnen Weibes zu groß wird. (??) Ein Racheakt wie bei Zola muß er vielleicht gar nicht sein.
Die Engländer sind sämtlich Masochisten, und vielleicht ihre Frauen darum oft so verkümmert in der Weiblichkeit.
In dem Worte Napoleons an seine Soldaten: „Du haut de ces pyramides quarante siècles vous contemplent“, steckt etwas Metaphysisches, dessen ein echter Franzose und Sadist nicht fähig wäre.
Dem Masochisten fällt zuerst Ähnlichkeit, dem Sadisten zuerst Verschiedenheit auf.
Dem Masochisten sind schon als Kind Uhren, Kalender das größte Rätsel, weil ihm die Zeit stets Hauptproblem ist.
Den Masochisten kann sich nie leichten Fußes über etwas früheres hinwegsetzen, was der Sadist stets tut, wenn der neue Augenblick mehr Realität verspricht als der alte.
Der Masochist empfindet alles als Schicksal; der Sadist liebt es, das Schicksal zu spielen. Besonders im konkreten Schmerz liegt für den Masochisten immer die Idee des Schicksales; der Schmerz hat für ihn nur soviel Realität, als Anteil an dieser Idee. So ist der Sadist das Schicksal des Weibes; das Weib das Schicksal des Masochisten. „Weib“ ist sadistisch (wer aktiv in der Empfindung des Weibes ist); „Frau“ masochistisch.
Das Verhältnis des Sadisten zum Masochisten ist das Verhältnis der Gegenwart zur Ewigkeit. Die Gegenwart ist das einzige, worüber der Mensch Macht hat; wer sich in ihr frei fühlt, wird sie nutzen, wie der Sadist; wer sich in ihr leidend fühlt, weil sie ihm nicht real ist, sucht sie zur Ewigkeit zu erwecken. So läßt sich auch das ethische Streben beider charakterisieren: der eine will alle Ewigkeit in Gegenwart, der andere alle Gegenwart in Ewigkeit verwandeln.
Das Gleiche gilt für den Raum. Der Sadist glaubt an, hofft auf das Glück auf Erden: er ist der Mann des „Tuskulum“, des „Sans-Souci“; der Masochist braucht einen Himmel.
Die Reue verübelt sich der Sadist und hält sie für eine Schwäche (Carpe diem!); der Masochist ist durchdrungen von ihrer Erhabenheit (Carlyle).
Der Selbstmörder ist fast stets Sadist; weil dieser allein aus einer Gegenwart heraus wollen und handeln kann; der Masochist müßte erst alle Ewigkeit befragen, ob er sich töten dürfe, müsse.
Der Sadist sucht Menschen (wider ihren Willen, ihre konstante Disposition) zu (momentanem) Glück oder Schmerz zu verhelfen: er ist dankbar oder rachsüchtig.
In Dankbarkeit und Rachsucht liegt stets Mitleidlosigkeit, Rücksichtslosigkeit gegen den (zeitlosen) Nebenmenschen; beide sind, wie alle Unsittlichkeit, Grenzüberschreitungen, d. i. funktionelle Verknüpfungen mit dem Nebenmenschen.
Psychische Schamhaftigkeit, d. h. Kontinuität, die einen einzelnen Inhalt nicht leicht aus dem Ich entläßt (vgl. „Geschlecht und Character“, 1. Aufl. , S. 436), ist masochistisch.
Die heutige Gesundheitspflege und Therapie ist eine unsittliche, und darum erfolglose: sie sucht von außen nach innen, statt von innen nach außen zu wirken. Sie entspricht dem Tätowieren des Verbrechers: dieser verändert sein Äußeres von außen her, statt durch eine Änderung in der Gesinnung. Er verneint so eigentlich auch sein Äußeres und mag deshalb nicht in den Spiegel sehen, weil er sich (das intelligible Wesen) haßt, ohne Bedürfnis, sich zu lieben. Der Verbrecher freut sich, wenn andere an ihm Anstoß nehmen (wie ihm überhaupt jede Verbindung mit anderen, jeder Einfluß auf sie, jede Beunruhigung ihrer Person durch seine angenehm ist).
Jede Krankheit hat psychische Ursachen; und jede muß vom Menschen selbst, durch seinen Willen, geheilt werden: er muß sie innerlich selbst zu erkennen suchen. Alle Krankheit62 ist nur unbewußt gewordenes, „in den Körper gefahrenes“ Psychische; so wie dieses ins Bewußtsein hinaufgehoben wird, ist die Krankheit geheilt.
Der Verbrecher im allgemeinen wird nicht krank; seine Erbsünde ist eine andere. Such’ ich mir das ganz sinnenfällig vorzustellen, so geht es etwa so: der Verbrecher stürzt im Augenblick des Sündenfalles vom Himmel auf die Erde, indem er Gott den Rücken zukehrt, auf den Punkt, auf dem er stehen könne, jedoch wohl achtet. Der andere, der Kranke (Neurastheniker, Irrsinnige) stürzt mit flehentlich zu Gott erhobenem Gesicht und Antlitz, und ohne Bewußtsein und Aufmerksamkeit dafür, wo er zu liegen komme. Wenn die Gefahr des letzteren die Pflanze, die des ersteren das Tier ist, so reimt sich das wohl: die Pflanze wächst vom Erdmittelpunkt senkrecht weg gerade dem Himmel entgegen; der Blick des Tieres ist gegen die Erde gerichtet. (Die Pflanze kann nie als antimoralisches Symbol gelten, wie soviele Tiere. )
Jedermann kann sich selbst immer bloß als Qualität auffassen; erst durch Vergleichung mit anderen werden quantitative Betrachtungen nahegerückt. Zahl und Zeit.
62 Nicht nur die Hysterie. [Rappaport]
Was ein guter Musiker ist, dessen Melodieen haben vor allem langen Atem.
Geschichte und Gesellschaft: Personen, die in einem Raume beisammen sind, bilden immer eine Gemeinschaft gegen Neu-Eintretende.
Dankbarkeit und Rachsucht sind eines und dasselbe: es gehört zu beiden eine Empfindung des Einzelmomentes als real: dankbar wie rachsüchtig ist der Sadist, nicht der Masochist.
Wenn eine Frau, in entkleideter Stellung überrascht, aufschreit, so ist das oft nur so zu verstehen, daß sie nicht gut genug darin auszusehen fürchtete.
Die Disharmonie ist ein tragisches Element in der Musik. Gerade die größten Kunstwerke der Welt (Tristan und Isolde) haben diese tragische Grelle und sind mehr als schön.
Der gute Aphoristiker muß hassen können.
Gar mancher glaubt den einen Gott los zu werden, indem er sich mehreren anderen verschreibt.
Nichts wird so oft verwechselt, wie Eigensinn und Energie – vom Eigensinnigen.
Der Mathematiker ist das Gegenteil des Psychologen: er ist der einfache Mensch, einfach wie der Raum.
Wäre der Mensch nicht frei, so könnte er die Kausalität gar nicht auffassen, und gar keinen Begriff von ihr bilden. Einsicht in die Gesetzmäßigkeit ist schon Freiheit von ihr und das Bedürfnis nach dem (inneren) Wunder, das Erlösungsbedürfnis geht Hand in Hand mit dem strengsten Gefühl