Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Band 1, 2 Aufl. , S. 346, findet es von Hume merkwürdig, daß „der Mann, der die Erkenntnis kausaler Verhältnisse für ein überall mißliches und höchstens wahrscheinliches Ding erklärte, in der Psychologie des Willens durch eine Reihe glänzender Untersuchungen vertrat“.
Einer tieferen Einsicht wird dieser scheinbare Widerspruch zur Notwendigkeit. Auch Mach, Avenarius sind so strenge Deterministen, daß die Frage der Willensfreiheit für sie kaum zu existieren scheint, und doch beide Leugner der Kausalität. Es erklärt sich dies daraus, daß nur, wer von der empirischen Gesetzlichkeit durchdrungen ist, das Bedürfnis nach Befreiung von ihr empfindet. Kausalität wird von Freiheit aufgefaßt, erkannt, gesetzt. Der Verbrecher erkennt die Kausalität nicht an, er will sie durchbrechen: er will z. B. von einem Buckel, einem Hinken plötzlich frei werden: sowenig erkennt er die Tatsache an (darum ist auch sein Wirklichkeitssinn gering). Ich glaube, Paulus sagt: „Eine böse und verbrecherische Art ist es, die nach Zeichen verlangt. “ Das ist vollkommen richtig. Das Wunder von außen erwartet nur der Verbrecher; der sittliche Mensch würde sich des Wunders von außen schämen; denn da wäre er ja passiv. Alle Bigotten sind Verbrecher.
Der Transzendentialismus ist identisch mit dem Gedanken, daß es nur eine Seele gibt, und daß die Individuation Schein ist. Hier widerspricht der monadologische Charakter der kantischen Ethik schnurgerade der „Kritik der reinen Vernunft“.
Die Frage, ob es eine Seele gibt oder mehrere, darf nicht gestellt werden; weil die Verhältnisse der Noumena über den zahlenmäßigen Ausdruck erhaben sind.
Ästhetisches und mathematisches Element (Proportionenlehre) in der Gerechtigkeit.
Spiritismus und Materialismus sind eines, und verschiedene Phasen, in die der nämliche Mensch nacheinander tritt. Das Geistige verlöre seine ganze Dignität, wenn es sich materialisieren würde.
Einen Menschen (Kant oder Fechner) vollständig verstehen, heißt ihn überwinden.
Der Masochist wirkt auf die hysterische Frau (das Weib als Pflanze), der Sadist auf die nicht hysterische (das Weib als Tier).
Die Megäre ist nicht, wie ich glaubte („Geschlecht und Charakter“), das Gegenteil der Hysterika, sondern das Gegenteil der Dame.
Herr und Dame gehören zusammen, ebenso wie Pantoffelheld und Megäre.
Das Bedürfnis, geliebt zu werden, wächst mit dem Gefühle des Verfolgtseins und ist diesem proportional.
Wo der Mann stiehlt, ist das Weib nur neidisch.
Doppelter Begriff des Wunders: Es gibt entweder ein Wunder, welches man ersehnt (das die Erlösung bringen soll; Wunderbedürfnis als Erlösungsbedürfnis), oder viele Wunder, das sind Bestätigungen des Glaubens, Bestätigungen sozusagen der Gesetze des Himmelreiches, wenn auch nicht der Gesetze der mathematischen Physik.
Beide sollte man scheiden.
Es kommt auch vor, daß einem jemand imponiert, weil er tief unter einem steht – wenn man ihn nicht versteht.
Dreierlei konstituiert den Philosophen, drei Elemente müssen zusammenkommen, um ihn zu erzeugen:
Ein Mystiker Ein Wissenschaftler Ein Systematiker
(Gegenteil: Sadist) (Gegenteil: Künstler) (Gegenteil: Experimentator)
Der Mystiker ) gibt den Theosophen, der bloßder individuellen
Systematiker) Intuition folgt, ohne Streben nach Beweisen und Sicherung.
Der Wissenschaftler ) gibt den theoretischen Physiker, Biologen etc.
Systematiker
Der Mystiker ist eindeutig zu bestimmen durch die Problematisation des Absoluten und des Nichts. Am auffälligsten ist die Problematisation der Zeit.
Der Wissenschaftler ist bestimmt in „Wissenschaft und Kultur“; er ist der transzendentale Mensch (Kant als Nicht-mystiker), er sucht vollkommene Anerkennung für alles, was er sagt, Widerlegung aller Gegenmöglichkeiten.
Der Systematiker ist das Gegenteil des Technikers und Experimentators; es gibt in jeder Wissenschaft Theoretiker und Techniker. So sind in der Mathematik:
Euler Techniker Riemann Theoretiker
in der Linguistik Techniker Humboldt Theoretiker
Pott
in der Physik Techniker (Bopp)
Faraday Maxwell Theoretiker
beides in hohem Maße Helmholtz, Darwin u. a.
Alter ist Tod, Jugend ist Leben. Je größer ein Mensch ist, desto weniger altert er, desto weniger wird sein Wille schwächer im Alter.
Es gibt aber außer Jesus Christus niemand, der nicht im Alter weniger gewollt hätte, als der Jugend. Das zeigt der musikalisch schwache Parsifal (der gedanklich eine frischere, kraftvollere Konzeption ist, als der musikalischen Ausführung nach; wenngleich seine Themen, Grab- und Blumenau-motiv, aber auch Abendmahl- und Parsifalmotiv in der Variation des III. Aktes, zu den größten gehören). Das zeigt vor allem Ibsen, dessen Wollen zwei Gipfelpunkte hat, einen höchsten, Peer Gynt, einen niedrigeren, Rosmersholm, sich sonst aber auf stetig absteigender Linie bewegt; das zeigt auch Beethoven, dessen Kunst ihre höchste Höhe in der Appassionata und besonders in der „Waldsteinsonate“ (III. Satz, wo sie beinahe Gott nahe kommt) erreicht, dann aber doch abfällt; die „Neunte“ ist nicht Beethovens größtes Werk.
Der Verbrecher sucht (als Sklave) oft einen sehr vollkommenen Menschen (und ist hier als Richter ihrer Unvollkommenheit viel härter als ein guter Mensch), weil er so von außen (nicht durch innere Wandlung der Gesinnung) Glauben gewinnen möchte. Er gibt sich, wenn er einen solchen gefunden zu haben glaubt, bei ihm in die vollkommenste Sklaverei; und sucht in zudringlicher Weise Menschen, bei denen er als Sklave dienen könne. Auch will er als Sklave leben, um nie einsam zu sein.
Wenn dann ein dritter Mensch in den Kreis tritt, ist der Verbrecher ratlos; denn bekanntlich kann man nicht zweier Herren Knecht zu gleicher Zeit sein, der Verbrecher aber ist jedes Menschen (ob Freien, ob Unfreien) Knecht, mit dem er zusammen ist.
Problem der zwei Menschen,
Problem der drei Menschen.
Mit vieren beginnt die Mengenpsychologie.
Phänomene der „Einstellung“. Man schreibt jedem Menschen anders, oft selbst kalligraphisch verschieden.
Je größer die Gnade, die ein Mensch von Gott empfängt, desto größer das Opfer, das er Gott dafür bringen wird. Bei Jesus war Gnade und Opfer am größten.
Evidenz kann sich nur auf die letzten Denkgesetze beziehen. Diese sind unmittelbar evident; diese Evidenz ist die Gnade.
Wert: Macht = Licht: Feuer.
Es gibt keine Grade der Wahrheit, keine Grade der Sittlichkeit.
Die Erbsünde erfolgt fortwährend: Ewiges und Zeitliches sind nebeneinander da.
Unterscheidung zwischen Genesis und Kodifikation des Aberglaubens. Kodex: Bauernkalender. Genesis: Schuld.
Der Unterschied zwischen Amoralischem (Weib) und Antimoralischem (Verbrecher), wie ihre Verwandtschaft, liegen darin, daß Weib heruntergesetzt werden will, während der böse Mann sich selbst heruntersetzt.
Zur tiefsten Erkenntnis seiner selbst und seiner Bestimmung gelangt der Mensch immer erst, wenn er sich untreu geworden ist, wenn er gegen seine Bestimmung (Gott) gefehlt hat, durch Schuld. Darum ist vielleicht das Leben auf der Erde
notwendig, damit Gott sich selbst finde; denn Bewußtsein ist nur durch Gegensatz möglich.
Anmerkung
Ein der früheren Bearbeitung von „Geschlecht und Charakter“ angehängter Exkurs versuchte morphologische und parallele psychologische Analogieen zwischen Mund-, Hals- und After-Genitalregion aufzudecken, und anknüpfend daran über die Urform des Wirbeltiertypus etwas zu ermitteln.
Sie suchte das Gemeinsame von Mund und After, Zunge und Geschlechtsteil aufzufinden und zu ermitteln, warum das Vorstrecken der Zunge ähnlich empfunden wird, wie das Weisen auf den Hinteren; warum Essen vor anderen bei manchen Naturvölkern als schamlos galt (wie noch heute die Sitte Essen auf der Straße verpönt): welche Analogieen zwischen Genital- und phagischem Trieb bestehen; warum der Zungenkuß der Ejakulation so nahe steht; warum die Schilddrüse (die einen rudimentär gewordenen Ausführungsgang hat, der an der Zungenwurzel endet) in so merkwürdigen Beziehungen zu den Keimdrüsen steht, warum die Stimme besonders sexuell erregend wirkt, und so stark sexuell differenziert ist.
Dem Menschen als dem Mikrokosmus wird die Bedeutung dieser Dinge, ihre innere Verwandtheit mehr oder minder bewußt, darum schämt er sich des Mundinneren. Wäre hingegen die Deszendenztheorie richtig, so müßten die Tiere, welche dem Balanoglossus (wo die Geschlechtsteile noch in der Kiemenregion liegen) noch näher stehen, mehr Scham empfinden als der Mensch.
Es gibt ein Platzscheu, die Lichtscheu ist, und die der sich schuldig fühlende Mensch hat, der vor Gott nicht besteht.
Die Vogelstimmen sind das, was demselben Menschen seinen sicheren Fall in den Untergang sagt („Peer Gynt“, 2. Akt).
Dohlen, Raben, schwarze Vögel findet man nicht auf offenen lichten Plätzen.
Wer sich an die Sonnenglut hingibt, ist selbst die Zypresse; es ist pflanzenhafte Passivität und „Glückseligkeit als Geschenk“. (?)
VIII
Letzte Aphorismen
Krankheit und Einsamkeit sind verwandt. Bei der geringsten Krankheit fühlt sich der Mensch noch einsamer als vorher.
Alles, was sich spiegelt, ist eitel; das ist denn auch die Sünde alles Lichts. Das Licht kann darum nicht einmal Symbol der Gnade (geschweige der Ethik) sein. Die Sterne sind symbolisch für Menschen, die alles außer der Eitelkeit überwunden haben. Das Gute hat kein Symbol als das Schöne: die ganze Natur.
Ihrer sind viele; denn das Problem der Eitelkeit ist das Problem der Individualität. Die Individualität hat Kant, der äußerst eitel war, erkenntnistheoretisch überwunden durch den Tranzendentalismus; ethisch nicht; denn er hat das „intelligible Ich“ nicht überwunden (die Eitelkeit verbindet ihn mit Rousseau).
Das „intelligible Ich“ ist aber nur Eitelkeit, d. h. Knüpfung des Wertes an die Person, Setzung des Realen als nicht real; es ist zugleich identisch mit dem Zeitproblem: denn das Zeitliche ist eitel.
Es gibt kein Ich, es gibt keine Seele63; von höchster, vollkommener Realität ist allein das Gute, welches alle Einzelinhalte in sich schließt.
Die Individualität entsteht aus der Eitelkeit; weil wir Zuschauer brauchen und gesehen werden wollen. Der Eitle interessiert sich auch für andere