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Collected Aphorisms Notebook And Letters To A Friend
das Thema gebracht hast, das ich, Deiner Stimmung Rechnung tragend, zu berühren vermied, so will ich nur bemerken, daß ich Dir hauptsächlich in einem Punkte widersprochen habe, in dem ich Recht behalten zu haben scheine . . .

Daß sie lüstern, lügnerisch, gefallsüchtig ist, daß sie sofort in Aktion tritt, sobald jemand sie weniger zu beachten scheint, daß sie den, der ihr naiv den Hof macht und sie offensichtlich bewundert, stehen läßt, ja daß sie die Prostituierte ganz in sich hat, ist mir nicht so neu, wie Du zu glauben scheinst, und hat mich auch weniger aufgeregt als meine, kurz vor meiner Abreise gemachte Wahrnehmung, daß sie unter all diesen Eigenschaften nicht leidet und sie nicht kontrolliert, sich nicht selbst niederhält.

Von mir hast Du eine viel zu gute Meinung, das sehe ich immer wieder. Freilich ist auch dieses Bekenntnis, das ich Dir mache, von meiner verfluchten Eitelkeit wieder begleitet.

Das Gefühl, nicht wieder lieben zu können, kenne ich leider auch sehr genau. Dir glaube ich es nicht ganz. Hoffentlich bist Du einverstanden mit dieser ersten Stenographie.

Ansichtskarte Bad Altfähr (Rügen) 16. August 1902

Das Meer . . . .

Crampas, 17. August 1902 Samstag, Abend

Lieber Freund!

Es freut mich sehr, daß ich Deinem Wunsche zuvorgekommen bin. Bereits heute mittags habe ich von einem Orte der Insel, an den ich, statt in Stralsund die Abfahrt meines Zuges abzuwarten, mich hatte übersetzen lassen, Dir eine Ansicht geschickt – die beste, die zu haben war. Hoffentlich hast Du sie zur Zeit bereits.

Ich werde Dir alles schicken, was irgend etwas sagt.

Die Post ist eine Einrichtung, der ich jetzt dankbar bin. Sie bringt mir Deine Briefe; und auch mir ist ein Telephon zu Dir ein starkes Bedürfnis.

Wie lange ich noch ausbleiben werde? Ich habe noch 55 Mark und 5 Gulden. Die Heimfahrt kostet mich höchstens 15 Gulden. Bleiben 23 Gulden. Ich rechne für den Tag hier 4-5 Mark (Zimmer zu 1 Mark); ich bin also in 8 Tagen wieder in Wien, d. h. in P. , wo ich, aller Mittel bar, bis tief in den September ausharren werde müssen. In dem Haus mit den 33 häßlichen unverheirateten Jüdinnen!

Deine Teilnahme an meinen kleinsten Sorgen hat mich sehr herzlich erwärmt. Denn das Wetter bleibt schlecht, drinnen und draußen. Seitdem ich fort bin, übermorgen sind’s vier Wochen, keinen guten Tag.

Hast Du wirklich geglaubt, es interessiere mich, mit wem Frau K . . . heuer Tennis spielt? Bin ich so ein Weib? Ich wollte Dich nur zum Reden bringen, weil ich bei Deinen Briefen die Zeilen honoriere.

Frage: Hat Napoleon sich selbst gekannt und wie weit?

Hier in Saßnitz ist der Fall da, von dem Du sprichst. Aber nicht Touristen sind es, die hier verekeln: der gewöhnliche Tourist mit der wichtigen Miene und dem dicken Fahrscheinheft ist wenigstens lächerlich; hier sind’s Badegäste. Kennst Du das? Ich glaubte mich heute, als ich die schreckliche Kurkapelle am Strande des Meeres spielen hörte, das sie nicht sofort verschlang, an die Ischler Esplanade versetzt. Nur weniger Juden, aber dafür Berliner, Frankfurter, Sachsen. Die Männer – Skatspieler, die Frauen entweder mütterliche Hyänen oder töchterliche Soi-disant-Kätzlein; die eine Hälfte die häßliche. Die andere mit dem rückwärts quer straff gezogenen Rocke . . . Schämst Du Dich nicht auch, wenn Dich dieser Teil des Weibes anzieht? In ihm hat die Natur die Schamlosigkeit verleiblichen wollen.

Ich wohne, Gott sei Dank, nicht mitten in eleganten Viertel, sondern im Orte Crampas im Hause eines „Schaffners“. Bitte, schreib’ aber wie bisher.

Mein Vater hat mir nach Bayreuth 100 Mark geschickt, die ich ihm zurückgesandt habe. Mir ist es unangenehm genug, nach meiner Rückkehr seine Unterstützung zeitweise beanspruchen zu müssen. Um Gotteswillen schick’ Du mir nur nichts.

Hast Du meine Stenographie lesen können? Und wie bist Du’s zufrieden gewesen? Ich kann sie nämlich selbst nicht leiden. Sie ist eine das Wort entwürdigende Erfindung, ihrem ganzen Wesen nach kaufmännisch, „modern“ bis zum Exzeß. „Keine Zeit. “

Meine Reise kommt mir so sinnwidrig vor. Nur geographisch ist’s richtig. Aber nach dem Parsifal sollte man pilgern, lange, bis ans Ende der Erde, und dann irgendwie verschallen.

Woher Du das nun auf einmal hast, daß auch meine Zukunft trüb ist? Ich glaube übrigens, daß es so sein wird.

Ich werde den J . . . nicht mehr mahnen. Man kann übrigens einen Menschen umbringen, indem man ihn in geeigneter Weise empfiehlt, und für irgendeinen Winkelverlag bin ich mir zu gut. Allenfalls werde ich ihm das offen sagen.

Diese Reise hat mir die Erkenntnis gebracht, daß ich auch kein Philosoph bin. Wirklich nicht! Aber bin ich sonst etwas? Ich zweifle sehr daran –

Dir möge es weiter gut gehen!

Dein
Otto. W.

Ansichtskarte aus Saßnitz. (Poststempel: 18. August 1902)

Ich bin eben nach einer Fahrt allein im Boote. Habe mich in den Mondschein hinausgerudert.

Der Himmel ist ein wolkenloses Auge.

Allen Kellnern der Welt in einer Nacht die Hälse umdrehen: Das möchte ich.

Fahre Montag Nachmittag nach Kopenhagen (postlagernd).

Ansichtskarte von der Ostsee. 18. August 1902

Halb 1 Uhr nachts, zwischen Sonntag und Montag. Ich sitze in einem Hotel am Strande und sehe vor mir das an einer Stelle unter dem vollen Monde erglänzende Meer.

Kopenhagen, 19. August 1902 ¼12 Uhr nachts.

Servus!

Mein Vater hat mir nun jene hundert Mark nochmals zurückgeschickt. Also geh’ ich doch nach Christiania. Bitte dahin postlagernd. Otto W.

Jetzt wird auf zweitägiger Seefahrt endlich ausgeprobt, ob ich seefest bin oder nicht.

Frederikshavn (Nordspitze Jütlands), 21. August, Donnerstag, 10 Uhr vorm.

Lieber Freund!

Entschuldige die Karte, einstweilen spare ich nämlich, um für mich in Norwegen möglichst viel zu gewinnen, und von hier ist das Porto schon teuer. Ich habe also jetzt 14 Stunden Seefahrt hinter mir, darunter fast die ganze Nacht auf Deck zugebracht, bei ziemlichem Sturme und bis 4 Meter hohen Wellen; und bin seefest! Wie ich’s von mir nicht anders erwartet hatte. Ich glaube, durch nichts kann die Würde des Menschen so leiden wie durch die Seekrankheit. Bezeichnend genug ist’s, daß die Frauen alle seekrank werden.

Aus Deinen Briefen habe ich gar vieles noch nicht beantwortet. Nicht weil Du’s ebenso mit meinen machst, sondern weil das ganz natürlich ist. Wir scheinen beide Diskussionen bis zu meiner Rückkehr aufschieben zu wollen (erste Septemberwoche, um die Mitte). Man macht sich eine Mitteilung von weniger wichtigen Dingen um dem andern das Bild des Augenblicks fixieren zu helfen.

Heute früh 5 Uhr 48 Minuten hier angekommen. Ich freue mich sehr: Montag werde ich hier im Nationaltheater den „Peer Gynt“ sehen. Heute höre ich hier zum zweiten Male auf meiner Reise den „Don Juan“. Das erste Mal in München.

O. W.

Christiania, 23. August 1902.

Besten Dank für Deinen Brief.

Wenn Dein übermäßiges Bedürfnis, Dich zu freuen, das Du auf meine Ankunft projizierst, uns nur nicht beiden dann eine Enttäuschung bereitet! Deinen Wunschт werde ich erfüllen: Du wirst, wie der letzte, so der erste sein. Ich werde Dich genau von Allem avisieren.

Auch zu Hause werde ich in diesem Falle freudiger empfangen, wie ich aus langer Erfahrung weiß, und das Essen ist dann paradoxer Weise sogar besser.

Ich dürfte über Bergen (Westküste Norwegens, wo die Fjorde und Gletscher) zur See nach Hamburg, über Magdeburg, Prag nach Wien fahren. Bitte, schreibe jedoch jedenfalls noch nach Christiania . . .

Dienstag, Mittag, 26. August 1902

In einem Tannenwalde nördlich von Christiania.

Morgen über acht Tage dürfte ich in Hamburg sein und den Sonntag darauf in P. (wahrscheinlich um halb zwei Uhr nachmittags von St. Pölten kommend. Wenn Du willst, begleite mich dann von P. nach W. ). – Gestern habe ich den „Peer Gynt“ gesehen und das Lied der Solveig gehört. War die Wiener Aufführung sehr schlecht und das Publikum widerlich, so ist die hiesige trottelhaft, die Zuschauer idiotisch. Furchtbar muß Ibsen unter seiner Umgebung gelitten haben. – Jetzt habe ich einen großen Teil norwegisch gelesen und staune, wie richtig Du den Text des Liedes erraten hast. – Alle sieben Tage der Woche schreib’ ich Dir keine Briefe. Wollt’ ich das tun, so hätt’ ich bald die Lust verloren. Du verstehst mich?

Otto W.

Hamburg, Donnerstag morgens. (Poststempel: 4, September 1902)

Lieber Freund!

Nun bin ich ernstlich auf der Heimreise, die solche Menschen wie Du oder ich wohl nie mit jener satten, eingewickelten Befriedigung antreten wie die Philister, die eben wirklich im Hause Nr. X zu Hause sind.

Dein Otto W.

Leipzig, 5. September 1902 6 Uhr nachmittags.

Lieber Freund!

Du siehst – schon nahe den böhmischen Wäldern.

Ich komme eben aus dem Institut für „experimentelle“ Psychologie, der hohen Schule des modernen Psychologen.

Mittwoch bin ich höchstwahrscheinlich in P.

O. W.

(Poststempel: 13. September 1902. )

Lieber Freund!

Ich hätte gestern dem Dr. S. eine Lüge oder eine Beleidigung versetzen müssen, wenn ich mit Dir geblieben wäre.

Ich küsse Dich.

Otto W.

  1. September 1902.

Lieber Freund!

Lies den „Peer Gynt“ in einem Zuge, das erste Mal wenigstens: der Wirkung wegen, an die Du lange zurückdenken wirst, wie ich glaube.

Hier wirst Du auch den Schmerz finden und die Verzweiflung. Und fast alle Mächte in und außerhalb des Menschen vereinigt auf einem Schauplatz.

Und wenn Du ihn gelesen hast, dann sollst Du die Staatsprüfung machen.

Ich grüße Dich herzlichst.

Otto W.

(Poststempel 27. September 1902. )

Lieber Freund!

R. hat mir gestern alles mitgeteilt.

Ich glaube, daß es nicht soweit kommen, sondern bei der Drohung bleiben wird. 68

Wenn doch, so erwarte ich von Dir, daß Du, zunächst wenigstens, bei mir wohnen und auch sonst mit mir teilen wirst. Ich sage, ich betrachte das als selbstverständlich.

Bitte, schreibe mir gleich! Brauchst Du Geld?

O.

  1. Oktober 1902.

Dank für Deinen Brief. Du wolltest wohl für die beiden Opern auch ein Bayreuth haben. 69 Immerhin ist es ein Skandal. Auch Mignon und Carmen werden so abgewerkelt.

Den Gedanken einer Abhandlung „Über den Gang eines Menschen“ finde ich sehr glücklich, aber Du sollst sie schreiben, sobald Zeit und Lust da ist. Mein Gefühl dafür, was der Gang eines Menschen sagt, ist verhältnismaßig schwach, viel weniger ausgesprochen als bei Dir, oder als bei mir z. B. die physiognomischen Eindrücke. Auch wird es Dir bei den Philistern nützen, wenn Du so ein ernstes

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das Thema gebracht hast, das ich, Deiner Stimmung Rechnung tragend, zu berühren vermied, so will ich nur bemerken, daß ich Dir hauptsächlich in einem Punkte widersprochen habe, in dem ich