Ich war nahe, das selbe zu tun um 1880; allein mit meiner „Entdeckung“. Sie ist keine Ansicht, sie ist eine Entdeckung und Weininger war ein „Entdecker“.
Das neue Säkulum scheint mit neuen Wahrheiten zu kommen; die zoologische Weltanschauung endete mit Veterinär-Psychologie.
Wir Strebenden suchen wieder die unsterbliche Seele und sind deswegen religiös genannt. Ich bin’s; aber eine Konfession kann ich nicht mitmachen. Nenne mich „Christlicher Freidenker“, bis ich Besseres finde!
Ihr unbekannter Freund in der Ferne.
August Strindberg.
Stockholm, den 22. Oktober 1903, Karlavögen 40.
Herr Doktor!
Der seltsame, rätselhafte Mensch, der Weininger!
Mit Schuld geboren wie ich! Ich bin nämlich in die Welt gekommen mit bösem Gewissen; mit Furcht vor allem, mit Angst vor Menschen und Leben. Ich glaube jetzt, daß ich Böses getan, bevor ich geboren war. Was heißt das! Die Theosophen allein haben Mut, die Antwort zu liefern.
Ich bin auch wie Weininger religiös geworden aus Furcht, ein Unmensch zu werden. Ich vergöttere auch Beethoven, habe sogar einen Beethoven-Klub gestiftet, wo man nur Beethoven spielt. Aber ich habe bemerkt, daß sogenannte gute Menschen Beethoven nicht vertragen. Er ist ein Unseliger, Unruhiger, der nicht himmlisch genannt werden kann; überirdisch gewiß.
Weiningers Schicksal? Ja, hat er die Geheimnisse der Götter verraten? Das Feuer gestohlen?
Die Luft ward ihm zu dick hienieden, deshalb ist er erstickt?
Dies zynische Leben war ihm zu zynisch?
Daß er weggegangen ist, bedeutet für mich, daß er allerhöchste Erlaubnis dazu hatte. Sonst geschieht so was nicht.
Es war so geschrieben.
Ihr
August Strindberg.
Stockholm, 8. Dezember 1903
P. S. Drucken Sie meine Briefe nicht vor meinem Tode.